AUS DEM LANDTAG:

AUS DEM LANDTAG:

Warum hat die BSW-Fraktion bei der Wahl zum sächsischen Ministerpräsidenten den CDU-Kandidaten Michael Kretschmer unterstützt?

Viele Menschen fragen, warum wir uns für ein (scheinbares) „Weiter so“ entschieden haben, anstatt konsequent für eine Veränderung zu stimmen.

Am Tag vor der Wahl stellten sich sowohl Michael Kretschmer als auch Herausforderer Matthias Berger (Freie Wähler) in der Fraktionssitzung des BSW vor und präsentierten ihre Konzepte.
Die BSW-Fraktion hat kontrovers diskutiert und gründlich analysiert.

In der Tat, wir hatten die Chance, Geschichte zu schreiben.
Schaut man auf den kurzfristigen Effekt, wäre eine Berger-geführte Regierung eine Option gewesen. In Abwägung aller Begleitumstände und Folgen konnte es letztlich keine andere Entscheidung geben, als für Kretschmer zu stimmen.

Gründe gegen die Wahl Bergers:
Berger verspricht eine Expertenregierung, die aber de facto eine Proporzregierung ist (Experten werden von den Parteien benannt, sind also nicht neutral, sondern vertreten die jeweilige Parteilinie).
Das System Berger basiert einzig auf einem Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien, die nie zueinander Vertrauen hatten oder haben werden. Eine harmonische Kooperation aller Parteien von ganz links nach ganz rechts ist schon wegen der unüberwindlichen Gegensätze in den politischen Positionen gänzlich unrealistisch. An das Gewissen der Parteien zu appellieren, für das Land ihre Prinzipien hintenan zu stellen, ist nichts weiter als ein naiver Traum.

Und: Die Zwänge sind für Berger wie für Kretschmer dieselben: Die finanzielle Situation und deren Folgen. Diese lassen sich im (ideologischen) Kampf der parteizugehörigen Ministerien um Macht und Geld nicht verbessern. Spätestens beim Haushalt scheitert die Zusammenarbeit.
System Berger: Wer würde überhaupt mitmachen? Alle? Wohl kaum. Linke und Grüne keinesfalls, die SPD ebenfalls nicht. Die CDU wird ihre Macht nach 34 nicht einfach abgeben. Sie könnte das Konstrukt über den Hebel der parteidurchsetzten Ministerien zum Scheitern bringen. Also hauptsächlich die AfD – und wir. Wollen wir das? Wollen wir (aufgrund des Sitzanteils) Juniorpartner der AfD sein? Neben der Absurdität der Vorstellung verbietet unser Parteiprogramm diese Konstellation.

Die Wahl Bergers wäre nur mit den Stimmen der AfD möglich gewesen. CDU, Grüne, SPD und Linke schließen eine Zusammenarbeit mit der als rechtsextrem eingestuften Partei aus. Auch das BSW-Wahlprogramm läßt keine direkte Kooperation mit Parteien zu, die Radikale in ihren Reihen dulden.

Fazit: Die Berger-Variante erscheint zwar interessant, weil ihr der Reiz der Veränderung, der Erneuerung, der Revolution anhaftet. Das ist aber nur ein kurzfristiger und kurzsichtiger Effekt. In der aktuellen politischen Landschaft kann und wird dieser Plan nicht aufgehen. Einzig der Gedanke, ein „Weiter so“ zu verhindern, erzeugt keinen Lösungsweg. Die Folgen wären absehbar: Spätestens beim Haushalt bricht das Konstrukt, danach folgen Neuwahlen. Gewinner: Eindeutig die AfD. Verlierer: Hauptsächlich das BSW als Ermöglicher der AfD-Machtübernahme und destabilisierender Faktor.
Außerdem: Wenn das BSW über den Umweg „Berger-Regierung“ der AfD den Weg zur Macht ebnet, bricht uns das bundespolitische das Genick. In Bezug auf die Bundestagswahl hätten wir uns jeglicher Chancen beraubt.
Bei aller Sympathie für diesen einzigartigen und neuen Politikansatz, dem auch ich persönlich vieles abgewinnen kann, verbietet der Blick auf die Folgen für uns als Partei BSW aktuell dessen Unterstützung und Umsetzung.

Gründe für die Unterstützung Kretschmers:
Aus den Sondierungen für eine gemeinsame Regierung mit CDU und SPD sind wir ausgestiegen, weil das gegenseitige Vertrauen und der Wille zu einer ehrlichen Zusammenarbeit nicht erkennbar war. In einer solchen Konstellation wären wir – trotz der zweitmeisten Sitze – an der Machterfahrung der „Altparteien“ gescheitert. Wir hätten nichts oder nur Unbedeutendes gegen die Sperrhaltung der anderen durchsetzen können.
In der neuen Situation ändert sich alles: Wir sind nicht durch einen Koalitionsvertrag an Vereinbarungen gebunden bzw. zur Disziplin gezwungen, sondern können konsequent als „Zünglein an der Waage“ agieren. Unsere Stimmen werden zwingend gebraucht, ohne unsere Zustimmung geht (fast) nichts. Oder wie Sabine sagt: Wir sitzen am längeren Hebel. Wir haben die historische Chance, aus der Opposition heraus Politik zu gestalten. Das gab es so noch nie. Jetzt haben wir viel mehr als in einer Regierung die Möglichkeit, ein „Weiter so“ zu verhindern. Für falsche Entscheidungen, für die sich CDU/SPD Mehrheiten anderswo organisieren, sind wir nicht mitverantwortlich (oder mitschuldig), können aber bei jedem Vorschlag, der im Rahmen des proklamierten Konsultationsmechanismus unterbreitet wird, gestaltend einwirken. So haben wir – obwohl diese Konstellation nicht ursprüngliches Ziel war – die eine gute und wirkmächtige Ausgangsposition erreicht.

Fazit: Ob unsere Strategie funktioniert, ob die „Minderheitsregierung mit BSW-Einfluss“ lange Bestand haben wird, zeigt wie immer erst die Zukunft. Aber gemessen an der kurzfristig reizvollen, langfristig aber selbstzerstörenden Alternative „Berger“ ist die Landtagsfraktion – und ich als Teil davon – überzeugt, mit unserem Wahlverhalten die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Leider ist es notwendig gewesen, das eigentlich widersinnige Polittheater mitzuspielen, indem wir Kretschmer zunächst haben durchfallen lassen, um ihn später doch zu wählen. Wichtig war dabei eines: Das Zeichen nach außen, dass wir mit der bisherigen CDU-Politik in Sachsen NICHT einverstanden sind. Eine Wahl im ersten Gang hätte demgegenüber den Eindruck einer Zustimmung transportiert.
Ganz nebenbei haben wir mit gutem strategischen Blick verhindert, dass uns die AfD mittels des angewendeten „Kemmerich-Tricks“ auf dem politischen Parkett vorführt und unmöglich macht. (Erklärung Kemmerich-Trick: AfD stimmte gegen ihren eigenen Kandidaten Urban und hoffte auf unsere Blauäugigkeit, mit ihren und unseren Stimmen Berger durchzusetzen – wie weiland im Thüringer Parlament).

Alles in allem stärkt die MP-Wahl in Sachsen unsere Position enorm. Natürlich wird nicht jeder Skeptiker mit diesen Worten zu überzeugen sein, trotzdem mahnen wir Geschlossenheit in der Außendarstellung an. Wir sind sicher, dass unser Wahlverhalten dem Sinn unserer Ideale und der nachhaltigen Umsetzung unseres Wahlprogramms entspricht.

Ulf Lange MdL

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